Stühle für Honecker, Schmidt und das Politbüro...

...oder: das war einmal Deutschlands größe Stuhlfabrik.

Blick auf das Werksgebäude der ehemaligen Sitzmöbelfabrik Otto Seifert in Neuhausen im Erzgebirge.

In der Kleinstadt im Flöhatal etablierte sich um 1840 der handwerkliche Stuhlbau, der sich rasch entwickelte und ab 1890 industrielle Formen annahm. Vor dem Ersten Weltkrieg waren hier bereits 20 Unternehmen mit mehr als 400 Beschäftigten im Stuhlbau tätig.

Eine der Fabriken wurde 1908 von Otto Seifert gegründet, der zuvor in der väterlichen Stuhlbaufabrik von Heinrich Eduard Seifert tätig war. Für die gewachsene Produktion ließ Otto Seifert 1927 ein markantes neues Produktionsgebäude mit Wasser- und Dampfkraft errichten.

Es handelte sich seinerzeit um die größte Stuhlfabrik in Deutschland - allerdings nicht hinsichtlich der Anzahl der Beschäftigten sondern mit Blick auf die Kubatur und damit den umbauten Raum. Aus heutiger Sicht ist es bemerkenswert, dass das Gebäude vergleichsweise hoch errichtet wurde. Im Gegensatz zu anderen Gewerken (wie z. B. bei einer Mühle) war die Stuhlfabrikation nicht zwingend auf räumlich vertikal angeordnete Produktionsschritte angewiesen. Aus (heutiger) Sicht der Arbeitsorganisation wäre ein Flachbau im Arbeitsablauf deutlich besser zu handeln.

Die Fabrik wurde ab 1958 mit staatlicher Beteiligung betrieben und 1972 komplett verstaatlicht. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten hier etwa 45 Mitarbeiter, die ca. 50.000 Stuhlgestelle pro Jahr produzierten.

Die Fertigungsstellen der erzgebirgischen Stuhlfabrikation wurden 1975 zum VEB Vereinigte Sitzmöbelindustrie (VSI) mit insgesamt 45 Betriebs- und Fertigungsstätten zusammengefasst. Wichtigster Produktionsort war Neuhausen, weitere Werke gab es in Brand-Erbisdorf, Geringswalde und Mulda.

Der Gesamtverbund zählte 1989 ca. 2.000 Beschäftigte, davon ca. 800 in den verschiedenen Neuhausener Werken. Insgesamt wurden jährlich ca. 1 Million Sitzmöbel in ca. 75 Ausführungen gefertigt, davon stammten ca. 410.000 Stühle in etwa 50 Varianten aus Neuhausen. In den 1980er Jahren verließen im Schnitt täglich bis zu 7 Eisenbahnwagen mit Stühlen und Möbeln den Bahnhof Neuhausen, im Gegenzug kamen bis zu 5 Wagen mit Schnittholz und bis zu 3 Wagen mit Kohle an.

Zu den realiserten Aufträgen der Neuhausener Stuhlbauer zählten in den 1970er/80er Jahren u. a. Lieferungen für das Jagdschloss Hubertusstock/Schorfheide in Vorbereitung des Treffens von Erich Honecker und Bundeskanzler Helmut Schmidt (Dezember 1981) sowie die Bestuhlung des Plenarsaals und des Politbüro-Sitzungssaals im Gebäude des ZK der SED in Berlin. Dabei wurden für den Saal des Politbüros eigens entworfene hochwertige und bequeme Armlehnstühle gefertigt.

Im Zuge der Deutschen Wiedervereinigung wurde ein Großteil der Fertigungsstätten stillgelegt. Die einzelnen Fabrikgebäude wurden teilweise abgebrochen, durch andere Gewerbe genutzt oder zu Wohnungen umgebaut.

Die markante Fabrik von Otto Seifert wurde 1990 stillgelegt und reprivatisiert. Sie durchlief verschiedene Nutzungen u. a. für Nußknackerproduktion und -verkauf sowie als Möbellager. Seit mehreren Jahren steht das Gebäude mittlerweile leer und der Verfall schreitet voran.
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View of the distinctive building of the chair factory (seating furniture) by Otto Seifert, constructed in 1927 in Neuhausen in the Ore Mountains. The factory was shut down in 1990, and after several interim uses, the building has been vacant for several years and is gradually falling into disrepair.
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Taken on: December 20, 2024

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