O Weihnacht, Weihnacht, höchste Feier
1.) O Weihnacht! Weihnacht! höchste Feier!
Wir fassen ihre Wonne nicht,
Sie hüllt in ihre heil'gen Schleier
Das seligste Geheimnis dicht.
2.) O Nacht des Mitleids und der Güte
Die auf Judäa niedersank,
Als einst der Menschheit sieche Blüte
Den frischen Tau des Himmels trank!
3.) Denn zöge jene Nacht die Decken
Vom Abgrund uns der Liebe auf,
Wir stürben vor entzücktem Schrecken,
Eh' wir vollbracht den Erdenlauf. -
4.) Der Menschheit schmachtendes Begehren
Nach Gott. die Sehnsucht, tief und bang,
Die sich ergoss in heißen Zähren, (a)
Die als Gebet zum Himmel rang.
5.) Die Sehnsucht, die zum Himmel lauschte
Nach dem Erlöser je und je.
Die aus Prophetenherzen rauschte
In das verlass'ne Erdenweh.
6.) Die Sehnsucht, die so lange Tage
nach Gott hier auf der Erden ging
als Träne, Lied, Gebet und Klage:
Sie ward Maria - und empfing.
7.) Das Paradies war uns verloren,
Uns blieb die Sünde und das Grab.
Da hat die Jungfrau Ihn geboren,
Der das Verlor'ne wiedergab.
8.) Der nur geliebt und nie gesündet,
Versöhnung unsrer Schuld erwarb,
Erlosch'ne Sonnen angezündet,
Als er für uns am Kreuze starb.
9.) Der Hohepriester ist gekommen,
Der lächelnd weiht sein eignes Blut,
Es ist uns der Prophet gekommen,
Der König mit dem Dornenhut. -
10.) Dies ist das Fest, dass er geboren,
Der wiedergab das Paradies!
Dies ist ein Fest, dass nicht verloren
Er uns und uns noch nicht verließ.
11.) Drum sollt ihr nicht dem Kummer glauben!
Kein Wort des Heilands wird verwehn,
Gott lässt sich seine Welt nicht rauben,
Und seine Kirche wird erstehn.
12.) Die Herzen werden sich versöhnen
Einst unter e i n e m Freudenzelt,
Und die Natur wird sich verschönen,
In Liebe atmen wird die Welt.
13.) Und finden werden sie gemeinsam
Den Weg, das Leben und das Licht,
Was keiner kann erringen einsam,
Wer nur sich selber Kränze flicht.
14.) Zugvögel sammeln sich in Scharen,
Wenn sie empfinden in der Luft
Ein süß' geheimes Offenbaren
Des Frühlings, der nach Süden ruft.
15.) Vereinigt trotzen sie den Winden,
Dass keiner sie der Bahn entführt.
Vereinigt schärft sich ihr Empfinden,
Das in der Luft den Süden spürt.
16.) So werden sich die Seelen einen
In gleichem Geist und Glaubenszug,
Dass sie nach ewgen Frühlingshainen
Vollbringen ihren Wanderflug.
17.) So wird sich finden einst hienieden
Der Kirche traulicher Verein,
Wo Licht und Stärke, Freud' und Frieden
In Christo allen ist gemein. (b)
(a) Tränen
(b) gemeinsam
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Autor: Nikolaus Lenau
Melodie: ohne Angaben
Strophe 3 ist am angegebenen Ort nicht vorhanden
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Palmenzweige: Eine Sammlung
geistlicher Lieder und Dichtungen
für die häusliche Andacht
von Moritz Alexander Zille
Verlag Georg Wigand
Leipzig, 1844
Thema: Weihnachten
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Nikolaus Lenau, eigentlich Nikolaus Franz Niembsch (seit 1820) Edler von Strehlenau, (* 13. August 1802 in Lenauheim (Csatád), Königreich Ungarn. † 22. August 1850 in Oberdöbling, heute Ortsteil von Wien) war ein österreichischer spätromantischer Schriftsteller.
Lenaus wurde als Sohn eines habsburgischen Beamten geboren und lebte nach dem frühen Tod seines Vaters in großer Armut. Durch den Einsatz ihres Erbes ermöglichte die Mutter dem Sohn Nikolaus, das Piaristengymnasium in Pest zu besuchen. 1822 ging Lenau an die Universität Wien und später nach Pressburg, wo er Philosophie, Landwirtschaft und Medizin studierte. Schon als Jugendlicher verfasste er Gedichte, zwischen 1832 und 1844 mündete eine durch den Tod der Mutter ausgelöste Melancholie in eine kreative Schaffensphase. Eine Erbschaft seiner Großmutter erlaubte es ihm ab 1830, sich ganz der Poesie zu widmen. 1831 kam Lenau nach Heidelberg, um hier die medizinische Doktorprüfung abzulegen, wo er Gustav Schwab kennenlernte, der ihm die Veröffentlichung seiner Gedichte in der Cottaschen Verlagsbuchhandlung vermittelte.
Nach einer Fehlspekulation an der Börse, bei der er die Hälfte seines großen Erbes verlor, und wohl auch inspiriert durch überschwängliche Reisebeschreibungen Nordamerikas, beschloss Lenau, Nordamerika kennenzulernen, wohin er im Juli 1832 aufbrach. Während ihn die Natur, wie etwa die Niagarafälle sehr beeindruckten, stießen ihn die Geldgier und der Materialismus ab. Bei seiner Rückkunft in Europa war Lenau zu einem gefeierten Dichter geworden, Nach produktiven Jahren verfiel Lenau 1844 nach einem Schlaganfall in zunehmende geistige Umnachtung. Er wurde im Oktober 1844 in die Nervenheilanstalt Winnenthal bei Stuttgart eingeliefert und im Mai 1847 in ein Sanatorium in Oberdöbling bei Wien verlegt, wo er noch drei Jahre bis zu seinem Tod verbrachte.
Sein Grab befindet sich am Friedhof von Weidling in Niederösterreich.
Lenau hat eigentlich keine geistlichen Lieder verfasst, einige Verse wurden allerdings aus seinen Gedichten herausgelöst und in der 1844 in Leipzig erschienenen Anthologie 'Palmenzweige' von Moritz Alexander Zille (1814-1874) arrangiert.
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